Wackelige Kulturwiege
Unesco erklärt Kyoto zum schützenswerten Welterbe
(Georg Blume, StuZ, 25.2.1995, S. 37)
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Als im Frühjahr vor fünfzig Jahren die amerikanischen Bombenangriffe auf Tokyo und andere japanische Städte begannen, liežen die Angreifer eine einzige Millionenstadt [unbeschädigt] : | GS [SG und SG], HS |
Kyoto samt Kaiserpalast und über zweitausend Tempel wurden von den Bomben verschont, weil die Amerikaner den ewigen Groll der japanischen Nation fürchteten, hätten sie ihr historisches und kulturelles Zentrum dem Erdboden gleichgemacht. | HS [SG und SG], GS, GS [= syntaktisch HS] |
Es war ein kluger Beschluss Washingtons, den die Unesco jetzt auf ihre Weise bestätigte. | HS, GS |
Vor kurzem erklärte die Welterziehungsorganisation den "kulturellen Nachlass des alten Kyoto" zum Welt[kultur]erbe. | HS |
Als Welterbe gelten bei der Unesco die besonders schützenswerten Stätten der Erde. | HS |
Vierhundertvierzig solcher Kultur- und Naturdenkmäler sind bisher in vierundneunzig Staaten verzeichnet. | HS |
Kyoto bot sich für eine solche Auszeichnung natürlich an : | |
Wer könnte daran zweifeln, dass die zwölfhundert Jahre alte Wiege der japanischen Hochkultur, Geburtsstätte des Zen-Buddhismus und berühmt für die schlichteste und feinste Keramikkunst der Welt, nicht immer noch eine Botschaft auszugeben hätte? | HS, G-, SG und SG[sg und sg], -S |
Wie aber lautet dann diese Botschaft heute, und wer versteht sie noch? | HS, und HS |
So wie die Tempel und Gärten der Kaiserstadt noch im hundertjährigen japanischen Bürgerkrieg (bis 1590) den Feldherren aller Seiten Entspannung und Gemütlichkeit boten, so lebt die moderne Industrie- und Dienstleistungsmetropole Kyoto auch heute im Widerspruch zu sich selbst. | GS [2 Aufzählungen], HS |
Kyoto war immer beides zugleich : Ort der Entrücktheit und Ort des Geschehens, Zentrum des esoterischen Buddhismus und Zentrum der politischen Macht | HS : SG und SG, SG und SG |
- gegensätzliche Merkmale, die auch das heutige Kyoto beschreiben, obwohl die Stadt ihre Hauptstadtfunktion 1868 an Tokio abtreten musste. | - (hs), GS, GS |
Der Besucher erlebt diese Ambivalenz mit jedem Schritt, kann sich dem Doppelleben der Stadt zwischen modernen Hochbauten und klappernden Holzhäuschen, zwischen mittelalterlichem Tempelbetrieb und den Produktionsrhythmen des einundzwanzigsten Jahrhunderts nicht entziehen. | HS, S [SG und SG, SG und SG] |
Da liegt die flachgraue Firmenzentrale von Nintendo, dem weltweit erfolgreichsten Hersteller von Videospielen, nicht weit von der jahrhundertealten fünfstöckigen Toji-Pagode im Gokokuji-Tempel. | HS, xSG, xSG |
Erst beides nebeneinander zeichnet Kyoto heute noch als Kulturhauptstadt Japans aus. | HS |
Die Toji-Anlage gehörte zu den ersten Bauwerken, die Kaiser Kammu im Jahr 794 zur Stadtgründung errichten liež. | HS, GS |
Aus dieser Zeit stammt auch der rechteckige Grundriss, den man der damaligen chinesischen Kaiserstadt Chang-an nachempfand. | HS, GS |
Nie wieder hat man seither in Japan eine Grožstadt nach so systematischem Plan errichtet. | HS |
Gleichzeitig setzte in dieser Gründerzeit eine Phase der ÷ffnung nach China ein:
vom Festland übernahm Japan die buddhistischen Lehren. | HS : HS |
Irgendwann im Laufe der Muromachi-Epoche (1336-1573) wurde dann in den Tempeln von Kyoto die Teezeremonie erfunden. | HS |
Schon vorher hatten sich Künste und Literatur in einer langen Friedenszeit eigenständig entfalten können, doch nun geschah etwas völlig Neues : | HS [SG und SG], doch HS |
zur Teezeremonie gehörte der Teepavillon, worüber der Kulturhistoriker Shuichi Kato schreibt : | HS, GS : |
"Der Teepavillon ist kein Denkmal. Die Auffassung, dass etwas um so beeindruckender und schöner sei, je gröžer und weitläufiger es ist, verkehrte sich ins Gegenteil." | HS. H-, GS [SG und SG], GS, -S |
Kato spricht dabei auch von einer "ästhetischen Revolution", welche die Welt längst zum Inbegriff japanischer Kultur gemacht hat : | HS, GS : |
die Miniaturisierung der Landschaft in den Zen-Gärten von Kyoto, das superfeine Dekor der Kyotoer Keramik und - nicht zuletzt - das dazugehörige Ritual der Teezeremonie, das man nirgendwo besser als hier lehrt. | XSG, SG und - xSG - xSG, GS |
Kann Kyoto also überhaupt Welterbe sein ? | HS |
Die Botschaft der Stadt liegt in ihrem doppeldeutigen Sowohl-als-auch-Bewusstsein zwischen Altertum und Moderne und der daraus schöpferisch entwickelten sthetik. | HS [SG und SG] und (s)=SG |
Um Denkmäler geht es schon deshalb nicht, weil in Kyoto die Gärten am schönsten sind. | HS, GS |