

|
Cicero und Caesar im Kompaktkursus

VON H.
MÜLLER-HILLEBRAND,
18.09.01, 18:52h, aktualisiert 22.09.01, 16:32h
Latein eine tote Sprache? An vielen
Universitäten ist sie nach wie vor sehr lebendig - als
Anforderung für die Prüfungszulassung.
Moribus antiquis res stat Romana virisque - was Rom ausmacht,
beruht auf den alten Sitten und Männern. Die Weisheit, die der
römische Philosoph und Staatsmann Cicero schon in seinem 51 vor
Christus vollendeten Werk „De re publica“ („Über den Staat“)
geschrieben hat, beschäftigt viele Studierende auch heute noch.
Denn wer beispielsweise in Deutsch, Geschichte oder Philosophie
sein Staatsexamen oder die Magisterprüfung anstrebt, hat an
zahlreichen deutschen Hochschulen Zeugnis darüber abzulegen, ob
er die Worte Ciceros im Original verstehen kann.
Seitdem ereignen sich Semester für Semester kleine Tragödien
beim Start in die wissenschaftliche Ausbildung. Abiturienten
erfahren, dass für ihre Fächerwahl das Latinum erforderlich ist
- wo ihnen doch in der Schule immer gesagt wurde: „Dafür
brauchst du das nicht.“ Und so haben viele in der Schule lieber
Französisch gelernt, weil Latein doch eine tote Sprache sei.
Anderen ist Latein gar nicht erst angeboten worden, weil sich zu
wenige Schüler dafür interessierten. Nach Angaben des
Statistischen Bundesamtes wählen seit Jahren immer weniger
Schüler Latein als Fremdsprache. Alle, die Versäumtes nachholen
müssen, haben vier Möglichkeiten: Lateinkurse an der Universität
belegen, Intensivkurse bei kommerziellen Instituten absolvieren
(Kosten zwischen etwa 600 und 2800 Mark), das Studienfach
wechseln - oder die Hochschule. Denn die Anforderungen für
Lehramts-Studiengänge sind von Land zu Land unterschiedlich, für
alle anderen Abschlüsse gibt es selbst innerhalb der Länder
keine einheitliche Regelung.
Nadine und Tobias gehören zu den Betroffenen. Sie haben in
diesem Semester gemeinsam mit rund 150 weiteren Leidtragenden
den Anfänger-Ferienkursus besucht, Montag bis Freitag, immer von
neun bis 13 Uhr, drei Wochen lang. Für die 21-jährige Nadine
steht schon nach wenigen Tagen fest, dass es dabei wohl nicht
bleiben wird: „Das ist alles andere als locker. Ich plane schon
jetzt, diesen Kursus noch einmal zu wiederholen.“ Damit steht
sie nicht allein. Nach Schätzungen belegen mehr als die Hälfte
der Latein-Lernenden wenigstens eine Veranstaltung zweimal -
denn das Tempo in den Kursen ist hoch, Selbstdisziplin oberstes
Gebot. „Nebenbei noch eine Hausarbeit schreiben, das klappt
nicht“, sagt Peter Schenk, der an der Kölner Universität die
Latinum-Kurse organisiert. Insgesamt 500 bis 600 Studenten
nehmen daran jedes Semester teil. Doch seien es nur „ganz, ganz
wenige“, die schließlich mit leeren Händen dastünden - sprich:
wiederholt durchfielen.
Das macht Mut - Mut, den der 22-jährige Tobias auch benötigt.
Denn für seinen Berufswunsch, Gymnasiallehrer für Geschichte,
wird er die schwierigste Zusatzprüfung in Sachen Latein bei der
Bezirksregierung abzulegen haben. Empfohlene drei
Universitäts-Kurse plus einem Tutorium, eine dreistündige
Klausur sowie eine mündliche Prüfung stehen vor der schlichten
Bescheinigung über die bestandene „Ergänzungsprüfung zum
Abitur“. Danach will Tobias endlich „richtig“ mit seinem Studium
beginnen. Denn Latein während des Studiums nachzuholen, das
kostet Zeit. Mindestens ein Semester, eher zwei und manchmal
sogar noch mehr verlieren viele der Betroffenen, um übersetzen
zu lernen. Macht das Sinn? Antje Hellwig ist davon überzeugt.
Die Fachdezernentin für alte Sprachen bei der Bezirksregierung
Köln, die jedes Jahr rund 150 Studierende durch die
Latinum-Prüfung schleust, sieht im Latinum sogar einen Sinn für
das spätere Leben. Denn wenn jemand nicht in der Lage sei,
strukturiert zu arbeiten und Dinge angemessen darzustellen -
Eigenschaften, wie sie gerade beim Lateinischen verlangt würden
-, werde er auch im Beruf scheitern. „Vor solchem Schicksal
sollte man junge Leute doch bewahren.“
In Nordrhein-Westfalen wird die Diskussion um eine
Verringerung der Lateinanforderungen derzeit nicht geführt. Und
an der Uni Bielefeld, die für Magisterstudien zurzeit landesweit
die geringsten Lateinanforderungen stellt, gehen die
Überlegungen sogar eher in die andere Richtung. „Ich erachte das
Lateinische für viele Studien als notwendig“, sagt der
Vorsitzende des Magisterprüfungs-Ausschusses Reinhard
Meyer-Hermann. Daher wolle man die Prüfungsordnungen überdenken
- und dann könnten Caesar und Cicero auch in Bielefeld wieder
eine größere Rolle spielen.
|